Projekt „1000km Stadtradeln in 3 Wochen“ – ein Erfahrungsbericht

Im Rahmen des kommunalen Wettbewerbs „Stadtradeln“ habe ich in 3 Wochen 1062km abgespult – ein „zweifelhalfter Genuß“ auf unserer schlecht ausgebauten und gefährlichen Münchner Radinfrastruktur, die ich als Radpendler aus Gröbenzell mit Arbeitsstelle in der Stadtmitte jeden Tag „erleiden“ durfte. Als Radpendler fährt man ja naturgemäß eine etwas höhere Durchschnittsgeschwindigkeit als der gewöhnliche Stadtradler und hat dadurch auch zwangsläufig ein höheres Gefährdungspotential. Studien zeigen auch, dass Radpendler die meisten Kilometer in den Innenstädten zurücklegen, im Schnitt deutlich mehr als die lokalen Stadtradler, die in der Regel nur kurze Wege fahren.

Meine Bilanz

Ich bin heilfroh, dass ich die 1000km unfallfrei durchkam. Allerdings musste ich eine nicht unerhebliche Zahl gefährlicher Situationen meistern. Hier eine Statistik der aufgetretenen Gefährdungen:

Direkte Gefährdungen

Weitere “Beeinträchtigungen”

(*) dies ist ein hochgerechneter Schätzwert. Pro Radausfahrt bin ich im Schnitt auf 10 Barrieren getroffen

Mein Fazit

Regelmäßiges bzw. intensives Radeln in München ist aktuell nur erfahrenen Radverkehrs-teilnehmern zu empfehlen, die ein gutes Auge im vorausschauenden Fahren entwickelt haben und jederzeit bereit sind, auf ihr Vorfahrtsrecht zu verzichten und achtlose Rechtsabbieger, gefährliche Hofausfahrten oder aufgehende Autotüren „erriechen“ können. Auch sollte man immer auf zugeparkte Radwege eingestellt sein und kreuzende Fußgänger auf der Rechnung haben. Zukünftig muss man jetzt auch noch die schmalen Radwege mit Scootern teilen – ein weiteres Gefährdungselement.

Ferner ist eine sehr gute Radbeherrschung dringend von Nöten, man sollte harte Brems-Manöver gut kontrollieren können (auch auf rutschigen Untergrund). Und auch die Fähigkeit zum „Bunny Hop“ ist von Vorteil, um die unzähligen Barrieren, Schwellen und Löcher auf den Radwegen materialschonend zu überwinden. Einige seit langer Zeit nicht gewartete Radwegsabschnitte sollte man besser nur mit dem Mountainbike fahren. Ich habe mir nach den 1000km auf beiden Reifen einen Achter eingefangen, mein Radhändler freut sich schon auf den nächsten Wartungsstopp. Durch Verschmutzungen und Beschädigungen der Radwege sowie kantige Bordsteine hat man auch unnötig erhöhte Belastungen für Mantel und Schlauch und damit ein signifikant erhöhtes Platten-Risiko. Hier empfiehlt sich, auf besonders robuste und langlebige Materialien zurückzugreifen.

“.. 50% unserer Radinfrastruktur sind schlichtweg nichts anderes als Sachbeschädigung!”

Insgesamt würde ich 50% der vorhandenen Radwege m.E. als nutzbar bewerten, auch wenn sie noch etwas breiter, durch seitliche Abgrenzungen sicherer und an vielerorts besser eingeebnet sein könnten. Aber die anderen 50% sind schlicht weg nichts anderes als Sachbeschädigung –  sorry, aber das gehört auch mal gesagt! Auch sind viele Kreuzungen sehr radunfreundlich konstruiert und mancherorts ist das Abbiegen oder nur Geradeausfahren über eine Kreuzung in der Rush Hour ein echtes Abenteuer.

Und was ist mit den vielen stark befahrenen und engen Straßen, wo noch gar keine Radwege angelegt sind? Dort gerät man permanent in Konflikt mit den Autofahrern. Bitte glaubt mir, damit tut man auch den Autofahrern keinen Gefallen und schraubt nur das Stress-Level aller Verkehrsteilnehmer in der Stadt hoch!

Über das Thema KFZ-Lärm und die gesundheitliche Wirkung von permanent eingeatmeten Abgasen und Feinstaub möchte ich hier gar keine weiteren Worte verlieren, da gibts ja bereits einschlägige Studien und die Folgen kann sich jeder selbst ausmalen.

Neben der vielen Kritik möchte ich noch lobend den vorbildlichen Radweg auf der Schwere-Reiter-Straße erwähnen. Bitte, bitte baut mehr breite und glatte Radwege dieser Art, dort macht Radfahren in München richtig Spaß!

Apell

Liebe Münchner Verkehrsplaner und Kommunalpolitiker, ich würde mir sehr wünschen, dass ihr selbst auch mal diese intensive Erfahrung macht und auf der Radinfrastruktur, die ihr zu verantworten habt, so viele Kilometer in kurzer Zeit auf euerem eigenen Rad zurücklegt (die Stadträtin Sonja Haider mal löblich ausgenommen). Über diesen Weg bekommt ihr einen neuen Blick auf die Münchner Verkehrswende.

Autor: Stefan Plate
Juli 2019

Anhang

Es war schon mühevoll, die vielen aufgetretenen Gefährdungen beim Radeln zu erfassen, hier wäre folgende App hilfreich (“Bike Danger Tracker”)